Position des Ornithologischen Vereins Halle e.V. zur geplanten Nordtangente und zum Gewerbegebiet Tornau/Oppin

Die geplante Nordtangente soll in Fortsetzung der fertiggestellten Osttangente die B100 mit einem neuen Gewerbegebiet zwischen der A14 und Tornau, einem Gewerbegebiet bei Sennewitz und dem Hafen Halle Trotha verbinden. Weiterführende Überlegungen zu einer anschließenden Saalequerung und Fortsetzung der Trasse bis zur A143 stehen ebenfalls im Raum (Informationen zum Projekt unter www.nordtangente.info).

Die Ornithologen der Stadt Halle befassen sich seit Jahrzehnten mit der Beobachtung und Bestandserfassung der in Halle und Umgebung brütenden und durchziehenden Vogelarten (https://www.ornithologischer-verein-halle.de). Die Ergebnisse unserer ehrenamtlichen Arbeit (Citizen Science) sind in zahlreichen Veröffentlichungen, u.a. auch in der ornithologischen Regionalzeitschrift „Apus“ publiziert. Von 2015 bis 2017 arbeiteten wir mit bei der Inventarisierung der Naturschutzgebiete, Geschützten Landschaftsbestandteile und Flächennaturdenkmale in der Saalestadt Halle und unterstützen damit das Projekt der GmbH Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, welche in diesem Jahr eine Neuauflage des Flora- und Faunainventars hallescher Schutzgebiete herausgeben wird. Wir sind also gut über den früheren und aktuellen Brutvogelbestand der Schutzgebiete informiert und auch über die Bestandsveränderungen in den letzten 30 Jahren. Vogelarten und deren Zu- und Abnahmen sind deutliche Indikatoren dafür, wie wir mit Natur und Umwelt umgehen.


Eine Vielzahl der insektenfressenden Kleinvögel (u.a. Grasmücken, Laubsänger, Rohrsänger, kleine Drosselvögel, Gelbspötter und Rauchschwalbe) sowie besonders die Brutvögel der Agrarlandschaft (u.a. Feldlerche, Ortolan, Rebhuhn und Wachtel) weisen leider keine positiven Entwicklungstendenzen auf. Das trifft auch für Rotmilan, Schwarzmilan und Mäusebussard zu, die auf Nahrung aus der Feldlandschaft angewiesen sind. Diese alarmierenden Feststellungen wurden in vielen Teilen Deutschland gemacht und sind u.a. vom Dachverband Deutscher Avifaunisten 2016 im Heft „Vögel in Deutschland 2014“ publiziert worden (www.dda-web.de). Dort werden als gravierendste Ursachen für diese Entwicklung die Änderungen der Nutzungsart und -intensität genannt. Diese Befunde werden auch durch die ganz aktuelle Stellungnahme der Leopoldina über den „Artenrückgang in der Agrarlandschaft“ (2018) bestätigt (www.leopoldina.org).

Trotzdem beabsichtigt die Stadt Halle eine weitere Straße am nördlichen Stadtrand zu bauen und ein 175 ha großes Gewerbegebiet zwischen Tornau und Oppin zu erschließen. Das Straßenbauprojekt soll durch eine relativ abwechslungsreiche Feldlandschaft führen und beeinflusst bzw. berührt damit gleich sechs der von uns untersuchten Schutzgebiete (GLB Goldberg, Mötzlicher Teiche, Park Seeben und FND Streuobsthänge südlich Seeben, Teich bei Seeben, Weiher und Lehmhügel westlich Seeben); weitere Gebiete, darunter das NSG Brandberge, wären bei einer Saalequerung und Weiterführung der Trasse zur A143 betroffen. Das Bergbausenkungsgebiet der Mötzlicher Teiche gehört zu den avifaunistisch wertvollsten und artenreichsten Bereichen der Stadt Halle! Es besitzt eine herausragende Bedeutung für Bewohner von Gewässern und Verlandungszonen und ist Lebensraum zahlreicher gefährdeter Arten. Durch den Straßenbau wären aber auch weitere wertvolle Habitate betroffen, die derzeit ohne Schutzstatus sind, wie Tümpel, Grünlandflächen, Trockenhänge und Kleingehölze in der Feldlandschaft. Es würde also eine ganz gravierende Änderung der Nutzungsart eintreten. Wo jetzt so gut wie kein Straßenverkehr stattfindet, würde durch diese Trasse massiver Auto- und, durch das vorgesehene Gewerbegebiet, auch erheblicher Schwerlastverkehr generiert, mit allen seinen negativen Auswirkungen auf die Vogelwelt. Genau diese großräumigen Flächenversiegelungen, die Zerstückelung von Naturräumen, der Eintrag von Lärm, Autoabgasen und Feinstaub sowie die Verarmung und Entwertung von Landschaftsstrukturen und Schutzgebieten führten zu den oben genannten rapiden Bestandsrückgängen und zu nachhaltiger Artenverarmung. Hier würden mit städtischem Geld und Fördermitteln, auf jeden Fall mit Steuergeldern, Baumaßnahmen finanziert, die maßgeblich für weitere Verluste an biologischer Vielfalt verantwortlich wären. Und wo werden entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen realisiert? Irgendwo ein paar Bäume anzupflanzen bringt den Vögeln der Agrarlandschaft gar nichts. Es müssten im oben genannten Umfang Flächen entsiegelt und rekultiviert werden, aber das scheint in der heutigen Zeit vollkommen unmöglich.

Die immer wieder ins Feld geführten Argumente, dass diese Straße den innerstädtischen Verkehr entlastet und ein Gewerbegebiet Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bringt, ist vor diesem Hintergrund nicht stichhaltig. Eine neue Straße führt bei der heutigen Verkehrsentwicklung immer zu verstärktem Autoverkehr, ein eventueller Entlastungseffekt ist nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar. Im Land Sachsen-Anhalt sind hunderte Hektar ungenutzte Gewerbeflächen ausgewiesen. Es kann also nur als verantwortungsloser Egoismus gewertet werden, hier, auf qualitativ hochwertigen Ackerböden noch ein weiteres neues Gewerbegebiet einzurichten und mit erheblichen finanziellen Mitteln die Feldlandschaft und damit den Lebensraum dort siedelnder Vogelarten zu zerstören.
Nur zwei aktuelle Beispiele, die die Folgen solcher Maßnahmen verdeutlichen:
Der NABU hat für das Jahr 2019 die Feldlerche, nach 1998 nun schon das zweiten Mal, zum Vogel des Jahres gekürt, eben weil die Brutbestände dieses „Allerweltvogels“ katastrophal abnehmen – auch im Raum Halle (http://www.nabu.de). Die Ursachen dafür sind in der industriellen Landwirtschaft, aber eben auch in den von der Stadt Halle schon vorgenommenen Flächenversiegelungen begründet (Osttangente, Star Park A14).
Der Rotmilan brütet im Gutspark Seeben, an den Mötzlicher Teichen und gelegentlich am Goldberg, doch wenn die neue Straße quasi direkt unter seinen Horsten entlang führt, ist die Aufgabe der Brutplätze zu befürchten; Lärm, Beunruhigung und fehlende Flächen für die Nahrungssuche wären dafür die Ursachen. Aber gerade für diese Art hat Deutschland eine besondere Verantwortung den Brutbestand zu erhalten. Mitteldeutschland ist das weltweite Hauptverbreitungsgebiet des Rotmilans, 8% des Weltbestandes (derzeit: ca. 2000 Brutpaare, 1990: noch ca. 3500 BP) leben heute in Sachsen-Anhalt (Artenhilfsprogramm Rotmilan des Landes Sachsen-Anhalt). Durch den Trassenkorridor wären 3 BP des Rotmilans direkt betroffen.

Diese Fakten sollten den Entscheidungsträgern bekannt sein, aber gedanken- und bedenkenlos werden solche fragwürdigen Bauprojekte weiter favorisiert und die Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren und das zunehmende Artensterben billigend in Kauf genommen.

Vielleicht sollte die Stadt mit gutem Beispiel voran gehen und die Millionen in die Umsetzung alternativer Mobilitätskonzepte stecken, die mit vorhandenen Straßen aber weniger Autoverkehr auskommen. Das wäre dann vor allem natur- und umweltverträglich und würde ebenso Steuereinnahmen bringen.

Als Ornithologischer Verein Halle e.V. sprechen wir uns aus den hier dargelegten Gründen und den sich deutlich abzeichnenden negativen Entwicklungen, auch in der halleschen Avifauna, gegen den Bau der Nordtangente und gegen die Ausweisung des Gewerbegebietes aus.

Januar 2019

Vorstand des Ornithologischen Vereins Halle e.V.

 

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